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  • AutorenbildHans J. Betz

“Orgeldraaier“, eine Tradition verschwindet


Droht auch dieser wundervollen Orgel der Verkauf nach China oder Japan?
Droht auch dieser wundervollen Orgel der Verkauf nach China oder Japan?

Rotterdam: Es war anfangs der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als ich in den Schulferien manchmal mit einem LKW mitfahren durfte, die mein Vater regelmäßig zwischen Basel und Rotterdam im Einsatz hatte. Allerdings hatte das Vergnügen einen Preis, denn selbstverständlich musste ich mithelfen, beispielsweise bei Reinigungsarbeiten rund um den LKW, oder beim Abplanen der Fahrzeuge die damals noch mit schweren Segeltuchplanen versehen waren. So kam ich immer mal wieder nach Rotterdam, Amsterdam oder auch nach Antwerpen. Es war ein regnerischer Herbsttag, als ich an der Parkkade an der Maas in Rotterdam, damals ein Abstellplatz für LKW, ich aus einer Seitenstraße Orgelklänge und das Scheppern von Münzen hörte. Ich schaute um die Ecke und erblickte ein mir völlig unbekanntes Gefährt. Bei genauer Betrachtung handelte es sich um einen großen Elektrokarren mit einer riesigen Orgel, die von einem “Orgeldraaier“ bedient wurde. Leute kamen aus ihren Häusern, andere wiederum schauten aus den Fenstern und freuten sich. Ein Junge mit einer Sammelbüchse schepperte im Takt der Orgelklänge und sammelte die Münzen ein, die freigiebig gegeben wurden. Auch ich warf ein “Kwartje“, eine kleine 25 Cent Münze die es in der Guldenzeit gab, in die Büchse. Vater und Sohn zogen mit der Orgel eine Straße weiter und die Menschen verschwanden wieder in ihren Häusern oder schlossen die Fenster. Damals war mir nicht bewusst, dass “Orgeldraaier“, also Orgelmann, in den Niederlanden ein angesehener Beruf ist, der einstmals für über 500 Familien ein gutes Auskommen ermöglichte. Doch dieser Beruf droht zu verschwinden, eine Tradition die Freude zu den Menschen brachte. Die Gründe dafür sind vielfältig. So führen Passanten immer weiger Bargeld mit sich und sind auch immer mehr in Eile. Versuche mit mobilen Pinautomaten scheiterten, weil deren Anwendung auf der Straße störanfällig und umständlich war. Durch Corona sind überdies die Spielmöglichkeiten eingeschränkt. Trotzdem laufen die Kosten für den Unterhalt, die Versicherung und die Lagerung der Orgeln weiter. Wer Glück hat wohnt in einer Gemeinde die kostenlose Einstellmöglichkeiten bietet. Andernfalls bleibt nur die Miete eines teuren Stellplatzes in einer Halle. Seit zwei Jahren sind Drehorgeln zwar kulturelles Erbgut, deren Betreiber erhalten jedoch im Gegensatz zu alten Mühlen keinerlei Unterstützung. In den Niederlanden besteht kaum ein Kaufinteresse, denn die Museen sind voll mit historischen Orgeln. Letztlich bleibt nur der Verkauf nach China oder Japan, wo noch ordentliche Preise erzielt werden. Traurig und mittelfristig auch das Ende eines traditionellen Berufs. Freuen Sie sich deshalb über Orgeln und “Orgeldraaier“ und das Scheppern der Münzen, tragen auch Sie mit einem kleinen oder größeren Obolus dazu bei, damit nicht noch mehr Kultur nach Fernost verkauft werden muss.

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